Künstlerhaus Bethanien

How to puncture the sky and hear the stones sing

Areez Katki

Eröffnung

17.07.2025

19 Uhr

Ausstellung

18.07.2025 –

14.09.2025

Mi–So: 14–19 Uhr

Courtesy Areez Katki

Tell me the story
Of all the things.
Beginning wherever you wish, tell even us
— Theresa Hak Kyung Cha

In dem Versuch, Fragen rund um das Erzählen aufzuwerfen – Areez Katkis bevorzugtem Medium –, tritt ein klares Anliegen zutage: die Wirksamkeit einer einzelnen Stimme neu zu befragen. Es ist die Stimme einer Hauptfigur, die ein ganzes Stimmenmeer von Ahnen in sich trägt. Manchmal harmonisch, manchmal dissonant – die Vielstimmigkeit, die diesem fließenden Archiv entspringt, kann singen und besänftigen. Sie ermöglicht es der Figur, zu wachsen und sich mitunter sogar als vollständig geformter Charakter zu zeigen.Doch diese Stimmen können auch widersprechen, verletzen, stören oder sich heftig gegen die erzählende Instanz wenden. Diese Form eines narrativen Auseinandersetzungsprozesses lässt sich als zentrales Motiv in Katkis multidisziplinärer Praxis begreifen.

How to puncture the sky and hear the stones sing ist das erste Kapitel einer dreiteiligen Ausstellungsserie. Diese erste Etappe ist wie eine vielschichtige, stimmungsvolle Erfahrung aufgebaut: Oben/Mitte/Unten. Areez Katkis Künstler*innenroman wird hier im Künstlerhaus Bethanien als Experiment vorgestellt, in Form eines Prologs aus Arbeiten, die sich in Raum, Klang und Text manifestieren. Die Arbeiten spiegeln jene Mikrogeschichten, Fragmente und poetischen Spuren wider, aus denen Areez Katki seit sechs Jahren ein experimentelles Romanprojekt entwickelt.

ما أفعله يشبه التطريز؛
حتى الزوج الأكثر دهاءً لن يلاحظ
What I do is like embroidery
even the most cunning husband won’t notice

Jocelyne Saab —

Areez Katkis Wohnung in Mumbai ist ein Archiv disparater Erzählstränge, das sich über vier Generationen auf der matrilinearen Seite der Familie erstreckt. Die derzeitigen Bewohner*in sitzt unruhig im Sessel der Großmutter, Kette rauchend. Erinnerungen ergießen sich bruchstückhaft in räumliche Begegnungen. Gefundene und bewahrte Textilien werden durch meditative Handstickereien, die direkt in der Wohnung entstehen, neu belebt. Die Textilien schweben als skulpturale Gesten im Raum – sie fangen die handwerkliche Arbeit der Künstler*in ein und entziehen sich zugleich einem linearen Zeitzugriff.

Die gestickten Arbeiten enthalten Zeichnungen, fragmentarische Notizen und Fragen zu den vielen Stimmen, die sich durch ein Geflecht von Zitaten Bahn brechen. Abstrahierte Diagramme, die sich auf ein altes avestisches Sprichwort beziehen, schweben neben fabulierenden Porträts elementarer Gottheiten aus dem zoroastrischen Pantheon; Eine Disney-Hexe, die bei Areez Katki einst eine Angst vor der Farbe Violett auslöste, ist eingebettet in mythische Neuerzählungen aus Ferdowsis epischer Dichtung. Autofiktive Mikrogeschichten überschreiten das Bildhafte und münden ins Abstrakte. Mikrogeschichten überschreiten das Bildhafte und führen ins Abstrakte. Inspiriert durch die Arbeit von Areez Katkis Mutter als Stenografin, wird eine Kurzschrift, erfunden und in Stoff gestickt. In Areez Katkis Bildsprache verdichten sich Erzählungen, die von einer Ethik der Liebe durchdrungen sind. Darin geraten Sprachen und Identitäten in Bewegung – verwoben zu fließenden Formen queerer Körperlichkeit. Wie Gedanken eines unruhigen Geistes, wie Erinnerungen an eine komplexe Vergangenheit, hängen diese Werke in feiner Unordnung im Raum – schwebend, verletzlich und offen für genaue Betrachtung.

The practice of love offers no place of safety.
We risk loss, hurt, pain. We risk being acted upon

by forces outside our control.
— bell hooks

Katkis Großmutter, Thrity Lakdawala, fütterte jeden Morgen bei Sonnenaufgang Vögel – ganz gleich, wo sie sich geografisch aufhielt, in SWANA, Indien und Ozeanien. Thrity erwachte mit der Morgendämmerung und vollzog das Ritual der Vogelfütterung, das ihr erlaubte, in Verbindung mit höheren Wesen zu treten. Dieses Ritual bezeichnet Areez Katki heute als Erbschaft. Die neue Arbeit mit dem Titel Disjecta Membra: Series D, eine Zwei-Kanal-Installation umfasst vier Soundscapes, die sich sanft zwischen Stofffalten im Ausstellungsraum ausbreiten. Jede Tonspur speist sich aus Feldaufnahmen – eingefangen im Morgengrauen an verschiedenen Orten, an denen Menschen und Vögel miteinander koexistieren: tūi und piwakawaka singen im Garten von Areez Katkis Mutter in Tāmaki Makaurau (Auckland); Mynahs und Krähen erklingen vom Balkon der Großmutter in Mumbai; die ersten Nachtigallen des Frühlings nähern sich dem Schlafzimmerfenster in Berlin; ein Kakofonie von Sperlingen durchdringt das Apartment des späten griechischen Dichters Konstantinos P. Kaváfis in Alexandria. In enger Zusammenarbeit mit der Künstler*in Tini Aliman, verantwortlich für das Sound Engineering, ist jede Tonspur mit eindringlichen Aufnahmen überlagert: das Pedal eines Jacquard-Webstuhls in einem Seidenweber-Atelier in Kashan; Glockenklänge aus dem Inneren eines zoroastrischen Feuer-Tempels in Mumbai; Geräusche von der Nicht-EU-Einwanderungs-schlange am Flughafen Berlin Brandenburg; Wasser, das gegen Körper und Fliesen in einem queeren Hammam in Istanbul spritzt. 

તમે  જે પણ કરો તે પ્રેમથી કરો
Whatever you do just do it with love
— Großmutter

Das Schreiben selbst erstreckt sich in viele Richtungen: Jeder Versuch, mit Sprache zu experimentieren, beginnt als Scheitern, mit nur dünnem Ausgang. Suspensions ist eine elfteilige textbasierte Arbeit, bestehend aus autofiktionalen Fragmenten, Gedichten, Briefen und Essays – Mikrogeschichten, die lose mit den bildnerischen und klanglichen Arbeiten der Ausstellung verbunden sind. Die elf unvollendeten Entwürfe erscheinen in A5-Heften auf steinernen Sockeln – das Publikum ist eingeladen, sie wie Lektor*innen zu betrachten, zu sammeln, zu durchdringen und die verschlungenen Erzählstränge, Stimmen und Zeitlichkeiten zu erkunden, die Areez Katki auf dem Weg zu einem experimentellen Roman kartiert.

آیا زمین، که زیر پای تو می‌لرزد،
از تو تنهاتر نیست؟
Isn’t the earth, trembling under your feet
?lonelier than you are 
Forough Farrokhzad —

Auf unterschiedlichen Trägern – Textilien, Papier, Erde, Klang –schreibt und überarbeitet Areez Katki eine Biomythografie, in der sich Fabuliertes und Historisches zu Ausdrucksformen verweben, die sich einer klaren Zuordnung entziehen. Migrantischen Erzählungen kennen keine eindeutigen Anfänge oder Enden – vielmehr sind sie geprägt von Lern- und Verlernprozessen. Im Nachdenken über Konzepte verkörperter Hybridität und (außer)gewöhnlicher Affekte aufgreift, die mit Strömungen und Winden über Kontinente hinweg getragen werden, findet Areez Katkis erzählerische Stimme jene Vielstimmigkeit, die dort entsteht, wenn es keinen festen Boden gibt, auf dem man sicher stehen kann.

Ausstellungsdokumentation

Areez Katki, How to puncture the sky and hear the stones sing, 2025, Ausstellungsansicht, Courtesy der Künstler

Suche

Range - slider
19742025

SUCHE EINGRENZEN

Checkbox Posttypes