Künstlerhaus Bethanien

Make the World

Nellie Lindquist

Eröffnung

23.10.2025

19 Uhr

Ausstellung

24.10.2025 –

14.12.2025

Mi–So: 14–19 Uhr

Eintritt frei

© Nellie Lindquist

„Jede Person kann die Vorführung eines feindlichen Propagandafilms unterbrechen, indem sie zwei oder drei Dutzend große Motten in eine Papiertüte steckt. Nehmen Sie die Tüte mit ins Kino, stellen Sie sie beim Betreten des Saals in einem leeren Bereich auf den Boden und lassen Sie sie offen stehen. Die Motten werden herauskriechen und in den Strahl des Projektors hineinfliegen, sodass der Film durch flatternde Schatten verdeckt wird.“

Simple Sabotage Field Manual, S. 26-27 (Übers. d. Verf.)

Im Jahr 1944 verfasste das Office of Strategic Services, ein Vorläufer der CIA, ein bemerkenswertes Dokument: das Simple Sabotage Field Manual, eine 40-seitige Anleitung für „einfache Handlungen, die jede*r normale Bürger*in-Saboteur*in ausführen kann“. Dieses geheime Dokument – seit 2008 deklassifiziert und öffentlich zugänglich – war dafür vorgesehen, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs in den von Deutschland besetzten europäischen Ländern verteilt zu werden, um die Bevölkerung zu einfach ausführbaren Sabotageaktionen zu ermutigen.

Nellie Lindquist nimmt ein besonders kurioses Detail aus dieser Liste praktischer Anweisungen als Ausgangspunkt für ihr animiertes Video, in dem sie eine Gruppe von Motten zu den Protagonist*innen einer im Field Manual beschriebenen Aufgabe der Sabotage macht. In einem dunklen Raum freigelassen, flattern die Motten über den Bildschirm und suchen sich ihren Weg zur einzigen Lichtquelle – dem Lichtstrahl der Projektion, der hier als flache Form gezeichnet an die Sonne oder den Mond erinnert. In der cartoonartigen Animation bleibt das projizierte Bild für uns unsichtbar, verdeckt durch die Schatten der stroboskopisch flatternden Insektenflügel. Immer wieder wird die düstere Atmosphäre der Animation unterbrochen, ansonsten geprägt durch ihre chiaroscuro Lichtstimmung: Durch den Einsatz dramatischer Kontraste zwischen Hell und Dunkel wird ein Gefühl von Volumen erzeugt, das der Flachheit der handgezeichneten Kreaturen am Werk ein dreidimensionales Schimmern verleiht.

Installiert auf einer Konstruktion, die an klassische Billboard-Werbetafeln erinnert, erstreckt sich die Präsentation des Videos bis in den Ausstellungsraum, wo Leuchtkästen an den Wänden auf ähnliche Weise Werbe-, oder Propagandastrategien, und ihre materiellen Träger widerspiegeln. Dunkle Silhouetten lösen sich in den blaugrau getönten Scheiben auf, die vom kalten Schein der hinter dem Glas installierten LEDs angestrahlt werden – sie muten seltsam an wie das Leuchten eines Handybildschirms beim nächtlichen Scrollen, oder ein verlassenes Schaufenster. Nellie Lindquists Skulpturen erscheinen dabei wie gespenstische Objekte: wie Requisiten aus einem Filmset, losgelöst von der Kontinuität der filmischen Realität, die sie zu wahren helfen.

Nellie Lindquists künstlerische Praxis ist geprägt von ihrem Interesse an narrativer Fiktion: Nicht als Flucht aus der Realität, sondern als wichtiger Baustein für ein Verständnis davon, dass viele der Strukturen, die unsere Welt prägen, durch Fiktionen aufrechterhalten werden. In einer Realität, die sich immer weniger von dystopischem Storytelling unterscheiden lässt – wir erleben die Faschisierung von Weltmächten, einen Genozid und defakto Gesetzlosigkeit auf der internationalen politischen Bühne in dessen Angesicht –, liest sich das Simple Sabotage Field Manual selbst wie eine Fiktion. Aus einer zeitgenössischen Perspektive auf die weitreichenden technologischen Fähigkeiten von Geheimdiensten wie der CIA und anderen mächtigen Akteuren, die unsere Welt bestimmen, klingt die Liste praktischer Anweisungen im Field Manual dagegen eher nach der Unschuld kindlicher Streiche.

Möglicherweise ist es gerade die naive oder banale Unbedarftheit der einzelnen, einfachen Schritte, die in dem Dokument aufgeführt sind (so fragwürdig seine Quelle auch konnotiert sein mag), die es für die gegenwärtige Situation relevant macht. Als Hannah Arendt den Begriff „Banalität des Bösen“ prägte, beschrieb sie damit, wie die Routinen von Gesetz und Bürokratie, die zahllosen kleinteiligen Aufgaben und Funktionen, die von scheinbar gewöhnlichen Menschen – in unreflektiertem und vorauseilendem Gehorsam – ausgeführt werden, die unzähligen „Rädchen im Getriebe“ eines totalitären Systems ausmachen. Gleichermaßen ist in Arendts Ausführung der Verweis enthalten, dass also die Störung eines einzigen Rädchens, wie ein einzelner Flügelschlag, einen entscheidenden Einfluss auf die Funktionalität der Maschinerie als Ganzes haben kann. Nellie Lindquists Einsatz der Motten-Saboteure, deren vorsätzliche Beteiligung an der Sabotage eine Fiktion bleibt, erinnert daran, dass wir alle die Welt gestalten – Make the World übersetzt sich mit „die Welt machen/erschaffen/gestalten“, aber auch mit „die Welt zu etwas zwingen“ – und somit ihre Realitäten formen können.

Text: Linnéa Bake

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