Künstlerhaus Bethanien

Old Dog Learning New Tricks

Sjur Eide Aas

Eröffnung

17.07.2025

19 Uhr

Ausstellung

18.07.2025 –

14.09.2025

Mi–So: 14–19 Uhr

Eintritt frei

©Sjur Eide Aas

Noch bevor man die Ausstellung Old Dog Learning New Tricks von Sjur Eide Aas betritt fokussiert sich der Blick auf zwei großformatige Malereien. Aus der Distanz vermutet man pastellige Landschaften oder geologische Formationen. Beim Herantreten jedoch verstellt sich der Blick in die vermeintliche Ferne und es bildet sich eine Tür heraus. Spätestens bei dem Anblick eines Klingelschildes bemerkt man, dass man vor einer grob verputzten Wohnhausfassade steht. Schließlich vervollständigt sich der Eindruck durch einen Bürgersteig, einen verwaisten Tennisball, flirrende Insekten, Pflanzenfragmente und eine verdächtige Flüssigkeit, die einen gelben Rinnsal am Fuße einer Betonsäule bildet.

Plötzlich schärfen sich beim Betrachten die Sinne für Objekte und Szenarien, die man in einem Ausstellungsraum nicht erwartet, denen man aber tagtäglich bei Spaziergängen durch die Stadtlandschaften begegnet: Eine schwarze Markise, die Läden und Cafés vor direkter Sonneneinstrahlung schützen soll, wird in der Ausstellung zu einem Polygon – einem rein geometrischen Objekt, das seine ursprüngliche Funktion abgestreift hat und sich nun der reinen Anschauung darbietet.

Diese Transformation von Funktion zum Objekt der Betrachtung ist typisch im Werk von Sjur Eide Aas und spiegelt sich besonders in dem ausgestellten gusseisernen Poller wider – einem Gegenstand, der in seiner Mehrzahl vielerorts in militärischer Formation die Straßenränder flankiert.

Vereinzelt im Raum und vor dem Weiß der Wände wirkt er wie ein Denkmal an ein vergessenes Ereignis – wie ein Hinweis auf etwas, das mal war und nicht mehr ist.
Um den Sockel dieses Mahnmals herum entdeckt man Muscheln, Schnecken und versteinerte Überreste von Lebewesen, die lange vor dem Menschen die Welt bevölkerten. Das Pflaster der Steine ist gesprengt, einzelne Kopfsteine fehlen oder liegen verstreut um den Poller herum. Es scheint so, als würde der sandige Berliner Boden zwischen den Steinen und Muscheln hervorquellen. Unweigerlich kommt einem der Ausdruck „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ in den Sinn – ein Spruch, der aus der Sponti-Szene der 1970er Jahre stammt und darauf anspielt, dass Pflastersteine ein beliebtes Projektil der „Kreuzberger Bohème“ in den Straßenkämpfen mit Vertreter*innen der staatlichen Exekutive waren.

Die Polaroid-Fotografien sind bei den Spaziergängen des Künstlers durch die Kreuzberger Kieze entstanden und verweisen auf die tatsächlichen Objekte und Situationen, nach denen Sjur Eide Aas seine Ensembles modelliert hat. Trotz der Zufälligkeit, die sich durch die Beliebigkeit des Spazierengehens eingestellt hat, wirken die Fotos wie Anhaltspunkte oder Beweismittel einer Erzählung oder eines Tatorts. Man möchte sie aneinanderreihen oder neu sortieren, um eine Route, eine Geschichte oder eine Logik zu rekonstruieren. Doch dies bliebe vergebens.

Sjur Eide Aas bietet den Besucher*innen seiner Ausstellung keine Reproduktion eines Ereignisses an. Seine Kunst verweigert sich allen enzyklopädischen, lexikalischen und historischen Systematisierungs- und Erkennungsmethoden. Hier scheint die entropische Dynamik einer natürlichen Entstehungsgeschichte gestalterische Maxime zu sein – Ordnung und Logik werden als Paradoxe entlarvt. Vielmehr vollzieht der Künstler in Old Dog Learning New Tricks eine geologische Tiefenbohrung durch unsere Vorstellung von Kreuzberger Stadtgeschichte. Politische Umwälzungen, Gesteins- und Muschelkalkschichten, zufällige Naturereignisse: all dies schreibt sich ein in den Strand unter dem Pflaster und hat nach Jahrzehnten, -hunderten und -tausenden unsere Umwelt und Wahrnehmung derselben geformt. Der Künstler unterscheidet dabei nicht zwischen politischen Umbrüchen (Straßenkämpfen), banalen Alltagshandlungen (Urinpfütze) und natürlichen Ablagerungsprozessen (Fossilien). Alles schreibt sich ein in die Stadt und bildet unterschiedliche Spuren – manche mehr, manche weniger sichtbar. Er hinterfragt in seiner Arbeit menschliche Wahrnehmungsmuster in verschiedenen räumlichen und urbanen Gegebenheiten und integriert Erlebnispotentiale in verschiedene architektonische Gebilde. Damit erweitert er ein disziplinäres Stadtverständnis um die sinnliche und geologische Beschaffenheit des urbanen Raums. In seiner Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien verschmelzen die physische und sensorische Realität eines Ortes mit Erinnerungen und Spuren desselben zu einer surrealen Topografie.

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