Künstlerhaus Bethanien

Rachel Libeskind: It’s Just a Matter of Attitude

Becoming B – Kapitel 4

Eröffnung

23.10.2025

19 Uhr

Ausstellung

24.10.2025 –

14.12.2025

Mi–So: 14–19 Uhr

Eintritt frei

Courtesy Rachel Libeskind, 2025

Konzeptionell versteht sich die Ausstellungsreihe Becoming B als öffentlicher Schritt in einem Prozess institutioneller Selbstveränderung. Sie begleitet und befragt den Wandel des Künstlerhaus Bethanien, dessen historisch verwurzelter Name auf den ursprünglichen Standort und die einstige Nutzung des Gebäudes als Krankenhaus zurückgeht. Der Terminus Bethanien – etymologisch als biblischer Ort der Heilung – ist vor allem durch die Lazarus-Geschichte geprägt, eine Erzählung von Krankheit, Tod und Auferstehung. Auf diese Herkunft verweist der Name noch immer, auch wenn sich die Institution von dieser Bedeutung längst gelöst hat. Mit dem schrittweisen Übergang zu einer neuen, offenen Identität – symbolisiert durch das schlichte “B” – wird der Wandel vom geschlossenen Namen zur offenen Möglichkeit vollzogen.

In diesem Spannungsfeld – zwischen Herkunft und Neuerfindung, zwischen Zuschreibung und Transformation – positioniert sich Kapitel 4 der Reihe Becoming B: Rachel Libeskinds Ausstellung It’s Just a Matter of Attitude. Ihre Arbeiten setzen sich mit der Frage auseinander, wie Identität, Geschichte und Geschlecht durch visuelle, sprachliche und kulturelle Codes konstruiert und wieder dekonstruiert werden. Wie das Haus selbst, in dem sie ausstellt, wird das Sichtbare unter die Lupe genommen und das darunter Liegende freigelegt: das, was sich in Strukturen einschreibt, in Sprache versteckt, in Bildordnungen manifestiert.

It’s Just a Matter of Attitude entfaltet ein vielschichtiges Geflecht aus Bild, Text, Klang und Material – und richtet den Blick auf jene feinen, oft unsichtbaren Mechanismen, durch die Geschichte und politische Repräsentation in kollektive Narrative eingeschrieben werden. Rachel Libeskinds konzeptionelle, multidisziplinäre Praxis ist häufig archiv-, recherche- und forschungsbasiert und im weitesten Sinn collagierend: Nicht nur visuelle Fragmente werden neu zusammengesetzt, sondern auch Bedeutungsräume, symbolische Ordnungen und mediale Kontexte. So entstehen dichte, widersprüchliche Räume, in denen historische Bedeutung zirkuliert, die sich zeitgleich aber auch wieder entzieht.

Einen zentralen Werkkomplex bildet eine Serie von Arbeiten, in denen die Künstlerin mit Fotografien aus US- amerikanischen Friseurkatalogen der 1980er Jahre arbeitet. Die Bilder zeigen sowohl weiblich als auch männlich gelesene Köpfe, sorgfältig frisiert, losgelöst von Körper und Kontext. Die Herkunft der Fotos ist ebenso unklar wie ihr ursprünglicher Zweck – sie sind funktionale Werbeträger und zeitgleich stille Zeugen einer Ästhetik, in der Geschlecht über Haarform kommuniziert wurde. Doppelseitig präsentiert, indem Vorder- und Rückseite des Rahmens zur Sichtfläche werden, bricht die Künstlerin bewusst die Funktionalität der Fotografien durch darübergelegte Wortanordnungen in unterschiedlichen Typographien. Diese im Siebdruckverfahren auf das Glas montierten Textfragmente sind Propagandaplakaten aus den Jahren 1911 bis 1924 entnommen, die die Künstlerin im Archiv der Library of Congress recherchiert hat. Die ursprünglich zur Rekrutierung, Mobilisierung und Disziplinierung einer kriegführenden Gesellschaft konzipierten Textformen durchlaufen bei Rachel Libeskind eine Verschiebung. Losgelöst von ihrem propagandistischen Ursprung zeigen sie sich in ihrer Überzeichnung – als latent sexuell, aggressiv, hierarchisch und aufdringlich normierend. Indem sie die Rhetorik staatlicher Kontrolle auf scheinbar neutrale Bilder von Haaren legt – einen jener alltäglichen Codes, die tief in geschlechtlicher und sozialer Normierung verankert sind – seziert Rachel Libeskind ein binäres Ordnungssystem, das in Momenten gesellschaftlicher Zuspitzung besonders rigide erscheint.

Darüber hinaus werden zwei großformatige Collagen gezeigt, die weniger bloße Bildträger als plastische Denkfiguren sind, in denen sich ein zentrales Prinzip von Rachel Libeskinds Arbeit verdichtet: die Transformation. In der Collage begegnen sich Bildfragmente, historische Versatzstücke, körperhafte Formen – doch ihr Zusammenspiel verweigert klare Lesbarkeit. Statt linearer Erzählung entsteht eine Zone der Reibung, Verschiebung und Überlagerung. Die Künstlerin nutzt die Collage nicht als Technik des Aneinanderreihens, sondern als ein Mittel, mit dem sich Form und Bedeutung gleichermaßen auflösen und neu zusammensetzen lassen. Ihre Bildflächen erscheinen in ständiger Bewegung; Bedeutung nicht fixiert, sondern formbar. Die Plastizität des Bildes spiegelt sich in der Plastizität des Denkens: Was hier konstruiert wird, ist nicht nur ein neues Bild, sondern eine neue Ordnung von Wahrnehmung. Die Collage als Methode öffnet so nicht nur ästhetische, sondern auch politische Räume – für Ambivalenz, für Instabilität, für das Noch-nicht-Festgelegte.

Prinzipien des Transformativen durchziehen die gesamte Ausstellung: Eine Textarbeit in Form eines Volants schlängelt sich entlang der Wände und spielt mit der Vorstellung einer nicht-linearen, sich ständig wandelnden Erzählung. Eine Soundarbeit, die aus dem Ausstellungsraum hinaus auf die Straße dringt, verschiebt die Grenze zwischen Innen und Außen – zwischen Institution und Öffentlichkeit. Eine mitten im Raum installierte textile Arbeit lädt die BesucherInnen ein, durch Öffnungen zu blicken, die gleichzeitig als Augen antiker Statuen fungieren. Wer hier schaut, wird zugleich gesehen – und damit Teil eines Blicksystems, das historische Tiefe mit gegenwärtiger Erfahrung verschränkt. Die Künstlerin hinterfragt nicht nur, wer gesehen wird, sondern auch, wer sehen darf und unter welchen Bedingungen. Ihre Arbeiten operieren im Spannungsfeld von Repräsentation und Aneignung, Sichtbarkeit und Abwesenheit, Erinnerung und Manipulation. Dabei verwebt sie historische Ikonografie mit subjektiver Erfahrung und öffnet so Räume für neue Lektüren dessen, was „Identität“ im politischen und visuellen Sinne bedeuten kann. Rachel Libeskind verhandelt den Übergang nicht als Abschluss, sondern als Möglichkeit.

Text: Annabell Burger

 

VERANSTALTUNGEN:

23.10.2025
19:00
Ausstellungseröffnung
20:00
Performance mit Rachel Libeskind, Arel Efraim Ashbel, Colin Hacklander

14.12.2025
15:00
Performative Intervention von und mit Rachel Libeskind und Gästen

 

Die Ausstellung wurde gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.

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