Corvus corone cornix, die Nebelkrähe, ist nicht irgendein Rabenvogel. Sie ist ein Indikator für Ost und West. Weil die Familienverbände der Krähen Europa untereinander aufgeteilt haben, trifft man Nebelkrähen nur östlich der Elbe an, wo sie wie ihre westlichen Verwandten an den Schnittstellen von Siedlungsraum und Natur als Kulturfolger leben.
Als der niederländische Künstler Roderick Hietbrink auf dem Weg zu seinem Berliner Gastatelier die ehemalige Grenze der alten politischen Machtblöcke überschritt, wechselte er also auch vom Lebensraum der Rabenkrähe auf das Territorium der Nebelkrähe, ein Detail seiner Recherche des urbanen Raums, das in seiner Berliner Installation eine wichtige Rolle spielt.
Hietbrinks neue Installation “Corner Corone” besteht aus Videoprojektionen und Klangquellen, die dem Publikum das Innere eines leerstehenden Berliner Büroneubaus zeigen. Es passiert nicht viel in dem ungenutzten, unmöblierten Raum. Wenige Bewegungen, diffus vorbeiziehende Schatten und Lichtwechsel veranschaulichen mehr das Verstreichen der Zeit als eine fest umrissene Handlung, während ein subtiler quadrophonischer Klang Ereignisse außerhalb des Raums eher erahnen als erkennen läßt.
Hietbrink erforscht so, in welchem Maße die Raumerfahrung manipuliert und die gewohnte urbane Umgebung neu gedeutet werden kann. Die Wahrnehmung des Betrachters ändert sich durch seine Detailwahrnehmung. Die gesteuerte Zufuhr nebensächlicher Veränderungen richtet seine Aufmerksamkeit neu aus. So wird Corvus corone cornix zu einem perspektivischen Partner des Publikums, das mit der Nebelkrähe eine unerwartete Begegnung hat.