Künstlerhaus Bethanien

The Birdwatcher’s Vigil

Valinia Svoronou

Eröffnung

17.07.2025

19 Uhr

Ausstellung

18.07.2025 –

14.09.2025

Mi–So: 14–19 Uhr

Courtesy Valinia Svoronou

Die Ausstellung The Birdwatcher’s Vigil von Valinia Svoronou entfaltet sich im Zusammenspiel aus neuen und bestehenden Arbeiten – Skulptur, Bewegtbild und Publikation –, die sich mittels Materialität, Gestik und Narration diasporischem Erinnern, zeitlichen Brüchen und feministischen Formen der Aufmerksamkeit nähern. Die Ausstellung begreift Fragmentierung, Wiederholung und Verkörperung nicht als Ausdruck von Verlust, sondern als Überlebensstrategie – als eine alternative Geschichtsschreibung, die sich nicht aus Archiven speist, sondern aus Textur, Nähe und Fürsorge.

Der Titel ruft eine Form des Sehens auf, die sich über Dauer entfaltet – nicht geprägt von Kontrolle oder Beherrschung, sondern von Intimität. Wachsam zu bleiben – wie eine Vogelbeobachterin oder eine Zeugin – bedeutet, aufmerksam zu sein für das, was am Rand der Zeit aufflackert. Die Ausstellung schöpft aus Geschichten, Literatur und Erzählungen – sowohl persönlichen wie familiären – der griechischen (Rum) Bevölkerung Istanbuls und Kleinasiens, einer diasporischen Gemeinschaft, der auch die Familie der Künstlerin angehört.

Ausgehend von ihrer Einzelausstellung Clocks of the Tides in der CAN Gallery Athen, vertieft Valinia Svoronou im Künstlerhaus Bethanien eine künstlerische Praxis, die sich mit Formen transgenerationaler Erinnerung befasst – über geteilte Berührungen, widerständige Gesten und Strategien der verkörperten Rückkehr. Die in Berlin und Athen parallel präsentierten Arbeiten – Video und Publikation – bilden eine grenzüberschreitende Ökologie von Formen: zwei komplementäre Teile einer einzigen Geste, die Zeit und Raum umspannt.

Das Video L’amour dérobe les heures (2025) entfaltet sich weniger als lineare filmische Erzählung, denn als vielstimmige Lesung. Valinia Svoronou verwebt darin eigene Texte mit Fragmenten des Autodidakten und Historiker der Rum-Gemeinschaft, Akylas Milas, der in den 1960er Jahren aus Istanbul nach Griechenland migrierte. Eingebettet in seine Werke, katalogisiert seine poetische Prosa Gesten, Stimmen und Orte, die weitgehend aus der vorherrschenden Geschichtsschreibung verschwunden sind. Während sich die Worte in Linien auflösen, entzieht sich die Erinnerung der narrativen Kohärenz – sie bleibt flüssig und relational. Die Schwalbe, die sich als Symbol der Rückkehr durch die gesamte Ausstellung zieht, erscheint illustriert in der rhythmischen Struktur des Videos, als Flugbewegung, die sich zyklisch zurückschwingt.

The Tide Observer, ein Flipbook, setzt die Beobachtungsformen in ein anderes Medium um. Komponiert aus Schattenspielen und Lichtveränderungen im großelterlichen Wohnzimmer der Künstlerin, verwandelt die Publikation Stillstand in eine Form zeitlicher Geographie. Wie Gezeiten, Atem und Herzschlag erweckt sie das Statische zum Leben. Zeichnungen, Texte und Atmosphären zeichnen einen diasporischen Raum nach: Orte wie Imvros, Istanbul und die Prinzeninseln erscheinen nicht als fixe Koordinaten, sondern als verflochtene Zeit-Zonen – geprägt von zyklischer Wiederkehr und einem fortwährenden Ankommen.

Den Mittelpunkt der Ausstellung steht Later (2023), eine skulpturale Arbeit, die als Übergangsraum fungiert und eine Schlüsselszene aus Tatiana Stavrous Roman Secret Springs (1940) aufgreift, in der eine Frau ihr gealtertes Spiegelbild betrachtet. Tatiana Stavrou – eine bislang wenig beachtete Autorin des griechischen Modernismus und Migrantin, die nach dem Bevölkerungsaustausch der 1920er Jahre nach Athen kam – arbeitet mit einer literarischen Technik, die den Bewusstseinsfluss und die vielschichtige Wahrnehmung von Zeit und Innenleben sensibel einfängt. In Later wird dieser flüchtige Moment zum Anker: Ein Spiegel in einem Stahlrahmen, begleitet von keramischen Elementen in Form von Noten und Schleifenbändern, teils mit filigranen Spuren von Kamille versehen. Eine Lecture-Performance aktiviert die Arbeit indem sie Stavrous Text mit Reflexionen über das krisengeprägte Athen der späten 2000er Jahre sowie spekulativen Zukunftsbildern verwebt. Kamille – ein immer wiederkehrendes Material – zieht sich dabei als roter Faden durch die Arbeit und entwickelt eine poetische Sprache der Fürsorge und der Heilung.

Diese Sprache setzt sich in der eigens für die Ausstellung entwickelten Arbeit To Clothe Herself, To Wash Her Face (2025) fort. Der Titel greift die Gesten nach der Spiegel-Szene auf: Akte der Fürsorge und des Neuanfangs. Die Arbeit besteht aus schwalbenartigen Nestern aus ungebranntem Ton, Posidonia oceanica und Kamille. Sie evoziert Rituale des Einweichens und Verbindens, Akte des Wiederzusammensetzens. In Augenhöhe installiert, laden die Nester zum Näherkommen ein. Ihre Konstruktion orientiert sich an der Architektur von Vogelnestern, in denen organisches Material zu temporären Schutzräumen geschichtet wird. Posidonia, eine langsam wachsende Seegrasart des Mittelmeeres, die über Jahrtausende Küsten stabilisiert, bringt eine ökologische Zeitlichkeit ins Spiel: widerstandsfähig, entschleunigt und jenseits menschlicher Maßstäbe. Als Diptychon verknüpfen Later und To Clothe Herself, To Wash Her Face Fürsorge mit Konfrontation. Sie fragen, wie eine Begegnung über die Zeit möglich ist – als Pflege eines Körpers, einer Landschaft, einer Erzählung, die vom Wandel gezeichnet ist.

Auf der Rückseite der Spiegel-Skulptur Later erscheint eine Zeichnung der mythischen Gestalt Baubo – als Beschwörung. Baubo, eine Gestalt der griechischen Mythologie, verkörpert ein Wissen, das lineare Erzählungen unterbricht und umleitet. Oft mit dem Archetypus der dreifaltigen Göttin – Jungfrau, Mutter, Greisin – assoziiert, stört Baubo mit ihrer Gestik jede Form chronologischer Ordnung. Ihr Erscheinen eröffnet eine Gegenlektüre antiker Narrative, die sich kolonialen und patriarchalen Denkmustern entzieht –  zugunsten einer feministischen Mythologie, die auf Zyklen, Fürsorge und den kleinen, unscheinbaren Überlebensstrategien fußt.

Die wiederkehrenden Motive der Ausstellung – Spiegel, Nest, Gezeiten, Pflanzen, Licht – bilden einen geteilten Wortschatz. Die Arbeiten illustrieren Vergangenheit nicht, sie greifen in sie ein. Schwesternschaft wird hier nicht als genealogische Abstammung gedacht, sondern als eine Form solidarischer Verbundenheit – eine Praxis, die fragmentierte Zeiten, Gesten und Leben über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg miteinander in Beziehung setzt. Die Arbeiten verweigern sich der großen Geste und schlagen dagegen das Verweilen vor: eine stille Beharrlichkeit, die sich geografischen und generationellen Trennungen entzieht. The Birdwatcher’s Vigil ist kein passiver Akt, sondern Ausdruck einer feministischen Ethik der Nähe, eine Praxis des Innehaltens für das, was am Rand der Zeit aufflackert, unterbricht und sich neu zusammensetzt.

Ausstellungsdokumentation

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