In ihrer Ausstellung The broom, the spoon and her shoes im Künstlerhaus Bethanien verwebt Myriam Jacob-Allard kulturelle, persönliche und filmhistorische Referenzen zu einer eindrucksvollen Reflexion über matrilineares Erbe, Transformation und das Erleben von Zeit.
Zentrales Werk ist der Film Les Immortelles, eine Collage in vier Kapiteln, die sich formal zwischen Abstraktion und Symbolik bewegt. Auf tiefschwarzem Hintergrund tauchen schemenhaft Objekte auf: Fenster, Pflanzen, Körperteile – Bilder wie aus einem kollektiven Gedächtnis. Die Tonspur ist ein Geflecht aus Found Footage aus Vampirfilmen, durchzogen von unheimlichen Geräuschen wie Gewitter, knarzenden Türen und dem Ticken einer Uhr. So entsteht eine dichte Atmosphäre zwischen Traum, Erinnerung und filmischem Zitat.
Der Film versteht sich als Anlehnung an das klassische Vampirfilmgenre und kreist um den Vampirbiss als zentralen Akt der Transformation – und der tiefen, körperlichen Verbindung zwischen zwei oder mehreren Individuen. Der Biss der Vampirin – traditionell als einzelner, transformativer Moment inszeniert – wird hier als vielschichtiger Akt verstanden: Das Schicksal überträgt sich nicht nur vertikal von Mutter zu Tochter, sondern auch horizontal und zirkulär innerhalb der Generation – zwischen Schwestern, der Großmutter und der Enkelin als Zeichen einer geteilten Verantwortung, eines unausgesprochenen Pakts. Die Unsterblichkeit wird damit nicht nur zur Last der Herkunft, sondern auch zur Bürde der Gegenwart.
Les Immortelles ist zugleich eine bewusste Neuinterpretation des Vampirfilms, in dem die Figur der Mutter meist unbeachtet bleibt – wenn sie überhaupt eine Rolle spielt. Hier hingegen steht sie im Zentrum: nicht als Antagonistin, sondern als Ursprung und Überträgerin eines ambivalenten Erbes. Der Film verlagert die Erzählung weg von patriarchalen Bildern von Verführung und Gewalt hin zu einer intimen, familiären Dynamik voller Nähe und einfühlsamen Schweigen.
Diese inhaltliche Neuausrichtung spiegelt sich auch auf formaler Ebene: Die Figuren werden von den tatsächlichen Familienmitgliedern der Künstler*innen verkörpert – Mutter, Schwester, Nichte. Ihre Körper, ihre Gesten und ihr Zusammenspiel tragen reale Spuren gelebter Beziehungen. Die Grenze zwischen Fiktion und familiärer Erinnerung verschwimmt – das Vampirische wird nicht nur gespielt, sondern körperlich erinnert.
Im Ausstellungsraum trifft der Film auf eine zweite, gleichsam geisterhafte Installation: Eine lose Ansammlung von aus Pappmaché gefertigten Objekten – Hände, ein Besen, ein Bügeleisen, Cowboystiefel – führt einfache, mechanische Bewegungen aus. Angetrieben von kleinen Motoren, wirken sie wie lebendig gewordene Überbleibsel häuslicher Routinen. Die Objekte bewegen sich scheinbar ziellos in einem angedeuteten Wohnungsgrundriss. Menschen fehlen; übrig bleiben ihre Spuren. Das Banale – ein Tippen, Wippen, Drehen – wird zum Ausdruck von Abwesenheit und Stillstand im fortlaufenden Rhythmus des Alltags.
Eine besonders eindrucksvolle Geste vollzieht eine Hand mit Armbanduhr, die mit dem Zeigefinger gleichmäßig auf den Boden tippt. Das daraus entstehende Geräusch erinnert an das Ticken einer Uhr – ein Symbol für messbare, vergängliche Zeit. Dieses Motiv zieht sich als akustisches Leitbild durch die gesamte Ausstellung: das Ticken, Surren, Klicken und Kratzen der Objekte wird zu einem Orchester des Gewöhnlichen, das zugleich an die Vergänglichkeit erinnert und sie unterläuft. Es ist der Klang des Lebens, das durch Wiederholung absurd wird.
So entsteht eine starke Spannung zwischen den beiden Polen der Ausstellung: Die kinetischen Objekte verkörpern das Vergehen, die Linearität der Zeit, während Les Immortelles die Erfahrung eines nicht enden wollenden Daseins imaginiert. Die eine Seite zeigt das Verschwinden des Körpers, die andere seine ewige Wiederkehr. In beiden Fällen geht es um Präsenz und Abwesenheit, um Handlung und Stillstand, um das Gewicht geerbter Geschichten.
Trotz der medialen Unterschiede findet Jacob-Allard eine visuelle und inhaltliche Brücke: Die fragmentierten Körper im Film spiegeln sich in den skulpturalen Gliedmaßen der Objekte. Die Dinge bewegen sich, als wären sie beseelt; die Körper erscheinen leblos, künstlich. Dieses Wechselspiel von belebt und entleert, von Ding und Körper, macht die Ausstellung zu einer dichten Reflexion über Zeit, Wiederholung, Erbe und Identität.
Text: Maximilian Rauschenbach